Sitzungsprotokoll 01.02.2007
Protokollant: Lothar Kammel
Thema der Sitzung: gemeinsame Lektüre des Textes Eine neue Liste der Kategorien (CP1.545-1.559) von Charles S. Peirce in: Peirce, Charles S. : Semiotische Schriften Band 1 (Ch. Kloesel u. H. Pape, Hrg.), Frankfurt/Main, 1986, 147-159.
Ziel der Sitzung soll die schrittweise Aufarbeitung der in Paragraphen unterteilte Abschnitte des Textes sein, um die sehr dichten und komplexen Erkenntnisse von Peirce richtig erfassen zu können.
1. Der erste Paragraph stellt die Frage, wie Begriffe zu einer Einheit zu bringen sind. Diese Fragestellung hat ihren Ursprung in der Kantschen Lehre der 12 Kategorien der reinen Vernunft, die Peirce auf drei Kategorien reduzierte.
Die Mannigfaltigkeit aller Dinge werden zur Einheit gebracht in einem Begriff; d. h. Wenn man für etwas noch keinen Begriff hat, muss man erst einen Begriff bilden, um über dieses etwas sprechen zu können, ein Vorgang, der bei der Abduktion zum Tragen kommt: man hat für eine verblüffende Situation noch keinen Begriff.
Den gleichen Vorgang finden wir in (nicht-literarischen) Metaphern vor. Als Beispiel diente das Lexem Wasserhahn, da für den einst neu eingeführten Gegenstand erst ein Begriff gefunden werden musste, womit verdeutlicht werden soll, dass gerade durch den produktiven Gehalt der Abduktion Metaphern erzeugt werden können.
2. Der zweite Paragraph gibt einen Hinweis auf eine Kette der Abduktionen, womit auf ein Kontinuum der Semiose verwiesen wird (hypothetischer Charakter).
Peirce versteht darunter, dass jede Prämisse auf einer Konklusion beruht, und es somit keine erste Prämisse geben kann. Diesen Gedanken formuliert Peirce in seinem ein Jahr später entstandenen Manuskript Fragen zur Realität (1868) weiter aus.
Die Peircesche Semiotik ist falsifizierbar, das heißt, sie kann auf Fehler untersucht werden. Ein Problem stellt sich, wenn sich falsche abduktive Konklusionen als falsche Prämissen durch die Denkprozesse ziehen. Trotzdem ist die Abduktion das einzige Schlussverfahren, das neue Ideen produzieren kann, die dann wiederum durch Induktion und Deduktion überprüfbar sind.
Zur Verdeutlichung kann Keplers Theorie der elliptischen Laufbahnen der Planeten angeführt werden, aber auch die Freudschen Theorien der Traumdeutung. Abduktives Denken setzt somit immer die Verarbeitung von Sinneseindrücken voraus und den Schluss, den man daraus zieht. Peirce vertritt eine dynamische Weltsicht, die den Menschen/Betrachter miteinbezieht, was sich als Involviertheit in der Welt bezeichnen lässt.
3. Der dritte Abschnitt befasst sich mit der Gegenwart als Begriff, die den Sinnen am nächsten steht. Unter gegenwärtig versteht Peirce 'das Erfassen von dem in der Aufmerksamkeit Enthaltenen überhaupt', was bedeutet, dass die Aufmerksamkeit auf etwas gerichtet wird, ohne Konnotationen, rein denotativ, ohne semantische Urteile zu fällen. Das, worauf die Aufmerksamkeit gerichtet wird, bezeichnet Peirce mit ES, wobei der Begriff so aussagelos wie möglich zu verstehen ist. Später bezeichnete Peirce das ES als Substanz. Substanz genauso wie Sein (bilden beide gleichsam die Rahmenbegriffe) liegen aber außerhalb der Peirceschen Kategorien.
4. Der vierte Abschnitt befasst sich mit dem Begriff der Proposition (die mittels des Verstandes zur Einheit gebrachten Sinneseindrücke), also der Aussage einfacher Sätze. Die Kopula ist bedeutet das substanzielle Sein; es ist voraussetzungslos und belässt die Substanz so, wie sie gesehen wurde. Der Begriff des Seins hat keinen Inhalt. Die Kopula bedeutet soviel wie 'ist wirklich' oder 'wäre' (es gibt). Der Begriff des Seins enthält nur die Verknüpfung von Prädikat und Subjekt.
Beispiel: Der Ofen ist schwarz
In dieser Proposition bezeichnet 'der Ofen' die Substanz, wobei 'ist' keinerlei Einfluss auf die Substanz, also auf den Ofen nimmt, jedoch die 'Schwärze' auf die Substanz (den Ofen) als Prädikat anwendet. Obwohl das Sein das Subjekt nicht beeinflusst, beinhaltet es eine unbegrenzte Bestimmbarkeit des Prädikats:
Ofen ist alt ñ groß - Eigentum von ñ defekt ñ etc.
Daraus ergibt sich, dass es keine Propositionen geben kann, deren Prädikat völlig unbestimmt ist, da es unsinnig wäre zu sagen :
A hat die allgemeine Eigenschaft aller Dinge
da solche allgemeinen Eigenschaften nicht existent sind.
Es gibt aber durchaus Propositionen, deren Subjekte vollkommen unbestimmt sind:
Es gibt ...
Daraus ergibt sich, dass Substanz auf kein Prädikat und Sein auf kein Subjekt angewendet werden kann.
5. Der fünfte Abschnitt befasst sich mit Unterscheidungen. Damit z.B. Rot als Rot wahrgenommen werden kann, braucht es ein Unterscheidungskriterium, da es eine Qualität allein nicht gibt. Bei Peirce ist die Unterscheidung dreiwertig, gemäß der drei Kategorien. Die Unterscheidung gliedert sich in Dissoziation ñ Abstraktion ñ Diskrimination.
ist verbunden mit Erstheitlichkeit, da eine Qualität von einer anderen (gefühlsmäßig) unterschieden wird, z.B. Rot von Blau.
Abstraktion: ist die Unterscheidungsleistung, die einen Sinneseindruck in einen Begriff überführt, daher mit Zweitheitlichkeit assoziiert.
Diskrimination: betrifft nur das Wesen der Wörter und ergibt nur eine Unterscheidung in der Bedeutung; es herrscht volle semantische Entwicklung, daher ist die Diskrimination der Drittheitlichkeit zugeordnet.
Peirce führt für seine Einteilung der Unterscheidungen Farb-/Raumbeispiele an, die aber mitunter kontrovers diskutiert werden können. So ist es durchaus aus dem zuvor Gesagtem erkennbar, dass für die Diskrimination Rot von Blau, Raum von Farbe aber nicht Rot von Farbe diskriminiert werden kann (da Rot Farbe impliziert), schwieriger wird es allerdings für den Fall der Abstraktion, in dem zwar die Abstraktion von Raum und Farbe möglich sein soll, nicht aber die Abstraktion von Farbe und Raum.
Peirce leitet zusammenfassend im Fortschreiten vom Sein zur Substanz seine drei Kategorien her, die wie folgt betitelt werden
Qualität: Substanzlosigkeit; Erstheit
Relation: Bezug zu etwas Anderem, Faktizität; Zweitheit
Darstellung: Bezug zu einem Interpretanten; Drittheit
Diese Kategorien Qualität ñ Relation ñ Darstellung werden von Sein (die Welt der Begriffe) und Substanz (Mannigfaltigkeit der Dinge; nahe an der Realität) quasi umrahmt, wobei Sein und Substanz selbst in den Kategorien nicht mehr vorkommen. Realität ist für Peirce das, was wir aufgrund der drei Kategorien wahrnehmen und über Schlussfolgerungen erklären können. Ideen werden dabei relationiert, Unterscheidungen werden getroffen, durch die Ideen zueinander gebracht oder unterschieden werden. Sobald man in Schlussfolgerungen begriffen ist, ist man in einem semiotischen Prozess.
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